FULL HOUSE

Balkenhol – Dienst – Florschuetz – Höfer – Immendorff – Rissa – Sieverding – Trockel aus der Sammlung Ströher | Zusätzlich zur ständigen Sammlungspräsentation stellt das Museum Küppersmühle in seiner Sommerausstellung die Werke weiterer Künstler:innen aus der Sammlung Ströher vor. Ab dem 15. Juli heißt es daher: “Sammlung Full House“. Zu sehen sind Fotografien von Thomas Florschuetz, Candida Höfer und Katharina Sieverding, Woll- und Strickbilder von Rosemarie Trockel, Gemälde von Rolf-Gunter Dienst, Jörg Immendorff und Rissa sowie eine Rauminstallation von Bildhauer Stephan Balkenhol.

15. Juli bis 9. Oktober 2022

MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg

Ab dem 15. Juli 2022 heißt es im MKM: Sammlung „FULL HOUSE“. Denn in seiner Sommerausstellung stellt das Museum Küppersmühle zusätzlich zur ständigen Sammlungspräsentation weitere Künstler:innen aus der Sammlung Ströher vor und schöpft damit aus einem vielfältigen Spektrum künstlerischer Produktionen von den 1960er Jahren bis heute. Zu sehen sind Fotografien von Thomas Florschuetz, Candida Höfer und Katharina Sieverding, Strick- und Herdbilder von Rosemarie Trockel, Gemälde von Rolf-Gunter Dienst, Jörg Immendorff und Rissa sowie eine Rauminstallation von Bildhauer Stephan Balkenhol.

Bei Dienst zeigt sich die Malerei leise intellektuell, bei Rissa kraftvoll und geometrisch, bei Immendorff energiegeladen und voller Reminiszenzen an die Kunstgeschichte. Zivilisation, Architektur und Natur sind Themen der fotografischen Arbeiten von Höfer, Florschuetz und Sieverding, während Balkenhols Figuren und Trockels Wandarbeiten sich auf unterschiedliche Weise dem Mensch und seiner sozialen Umwelt nähern. Der Weg durch die Räume öffnet den Besucher:innen überraschende Perspektiven, Blickwinkel und Sichtachsen zwischen den Werken und lässt sie auf diese Weise die Kunst immer neu erleben.

Als Ergänzung zur Dauerausstellung der Sammlung mit Fokus auf informellen und abstrakten Künstler:innen der Nachkriegskunst, wirft die Ausstellung FULL HOUSE einen Blick auf die Nachfolgegeneration. Alle der präsentierten Künstler:innen eint, dass sie bis heute ihre Bedeutung für die Kunstgeschichte beibehalten und weiterentwickelt haben: 

„Aus heutiger Sicht ist die Vielfalt der Kunstszene, insbesondere der 1970er- bis 1990er-Jahre, ohne die markante Handschrift der hier ausgestellten Künstler:innen nicht denkbar. Mit FULL HOUSE geben wir Einblick in die Sammlung Ströher – im gesamten MKM – und damit auch in die Ikonografie deutscher Kunst nach 1945 mit unverrückbarem Stellenwert.“, so MKM-Direktor Walter Smerling.

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Eröffnungsrede von Rissa

Sehr geehrte Anwesende, oder soll ich besser sagen: 

Sehr geehrte Damen und Herren und alle anderen, für die diese klassische Anrede nicht ihren speziellen Bedürfnissen entspricht?

Hier in diesem schönen Bau stellen vier Künstler und vier Künstlerinnen aus:

Arbeiten von zwei Malern und einer Malerin, von zwei Fotografinnen und einem Fotografen, von einer Multimedia-Künstlerin und von einem Bildhauer.  Zwei Maler sind bereits leider nicht mehr unter uns. Wir noch Lebenden sind in jedem Fall froh, dass die Besucher hier unsere Werke anschauen wollen!

Für mich überraschend, bin ich von Walter Smerling  gebeten worden, zu dieser Künstler-/Künstlerinnen-Ausstellung Full House eine Rede zu halten.

Diese Wahl  hat mich erstaunt, denn ich bin keine Rednerin. Ich lebe sehr zurückgezogen, um zu malen, zu lesen, zu denken und manchmal auch zu schreiben. Eher bin ich eine Erzählerin, die sehr gerne auf Fragen antwortet, wenn sie mir von einigen Freunden oder anderen Personen gestellt werden. Hier werden mir von den verehrten Anwesenden wahrscheinlich vorerst keine Fragen gestellt, daher muss ich sie mir selber stellen, sonst kommen mein Denken und Sprechen zu langsam in Bewegung.

Zwei Fragen habe ich:

Erstens

Warum wurde gerade ich von Walter Smerling ausgewählt, hier eine Rede zu halten?

Zweitens

Was soll ich als alte Malerin erzählen, wenn ich die Kunst der anderen Kollegen und Kolleginnen nicht charakterisieren darf und auch nicht möchte?

Die erste Frage beantworte ich folgendermaßen:

Ich, Rissa, 1938 in Chemnitz in Sachsen geboren, wurde für die Rede auserwählt, weil ich mit meinen 84 Jahren die älteste Künstlerin bin, die glücklicherweise jetzt 2022 mit vier jüngeren Kollegen und außer mir drei Kolleginnen in diesem neuen Prachtbau in Duisburg einige ihrer Werke aus der Sammlung Sylvia und Ulrich Ströher zeigen kann. Außerdem ist die Küppersmühle für mich und meine Bilder schon seit 2003 eine bedeutende Heimat geworden, da in diesem Jahr, an diesem Ort, eine der schönsten Rissa- Ausstellungen nicht provinzieller Art in Deutschland stattgefunden hat. Zudem verbindet mich auch nach dem Tod meines Mannes und informellen Malers K.O. Götz (der von 1914 bis 2017 gelebt hat) weiterhin eine tiefe Freundschaft mit Sylvia und Ulrich Ströher, mit Ina Hesselmann und natürlich mit Walter Smerling.

Ich erwähnte eben mein Alter. Um auf das Alter der drei anderen hier ausstellenden Künstlerinnen und vier Künstler zurückzukommen, habe ich mir vorgestellt, wir wären durch diese Ausstellung nicht nur kurzfristig emotional miteinander verbunden, sondern wir wären miteinander wirklich verwandt. So kam ich zu dem Schluss, auch über unsere Altersverhältnisse zu reden:

Katharina Sieverding, Jahrgang 1941, wurde in Prag, Tschechoslowakei (heute Tschechische Republik) geboren. Sie ist eine berühmte Foto-Künstlerin mit dem Anspruch, hier Pionierleistungen vollbracht zu haben. Ich kenne sie nur flüchtig aus unserer Studienzeit an der Kunstakademie Düsseldorf. Sie war Studentin bei Joseph Beuys (1921 – 1986), und ich ab 1960 Studentin bei K.O. Götz. Ganz nebenbei bemerkt: Beuys hat übrigens u.a. diesem nicht-figurativem Maler zu verdanken, dass er Professor an der Kunstakademie Düsseldorf werden konnte.

Zurück zu uns beiden als Kunststudentinnen. Während unserer Studienzeit kreuzten sich unsere Wege nur selten auf den langen leeren Akademiefluren. Und wenn es doch zu einer Begegnung kam, dann lächelten Katharina und ich uns zu, als wüssten wir mehr über uns beide, als es der Fall war. Ich hätte ihre drei Jahre ältere Schwester sein können.

Rolf Gunter Dienst wurde 1942 in Kiel in Schleswig-Holstein geboren. Leider starb er viel zu früh im Jahr 2016.

Zu diesem Maler und Schriftsteller hatten K.O. Götz und ich eine lange, freundschaftliche Beziehung. Er besuchte Götz bereits in jungen Jahren um die 1960iger Jahre in Düsseldorf und dann später 1978 auch in unserem Haus in Niederbreitbach. Von diesem Besuch gibt es von uns dreien im zweiten Band von K.O. Götz‘ Autobiographie „Erinnerung und Werk“, ein schönes Foto. Ich selbst habe Rolf-Gunter Dienst zum letzten Mal 2013 mit Ina Hesselmann in seiner Wohnung  in Berlin besucht, und wir waren erstaunt, wie er uns dort geduldig-optimistisch seine wunderbar brillant-farbig konstruierten Bilder gezeigt hat. K.O. Götz, Rolf-Gunter Dienst und ich waren visuell-ästhetisch und intellektuell auf der gleichen Wellenlänge und in wahrer Freundschaft verbunden. Er war ein charakterstarker Mensch und mit heißem Herzen Maler und ein liberaler Kunstschriftsteller für alle Kunstrichtungen, die sich nach dem 2. Weltkrieg in der westlichen Welt entwickelt haben. Jahrgangsmäßig hätte ich seine vier Jahre ältere Schwester sein können.

Candida Höfer, die gerühmte, formidable Fotografin, die ich vor dieser Ausstellung leider nicht persönlich kennen gelernt habe. Sie ist Jahrgang 1944 und geboren in Eberswalde in Brandenburg, aber nach 1945 aufgewachsen in Köln. Die formale Strenge ihrer Fotografien, die auch meine Malerei auszeichnet, verbindet uns künstlerisch. Ich könnte ihre sechs Jahre ältere Schwester sein.

Der Maler Jörg Immendorff wurde1945 in Bleckede  in Niedersachsen geboren. Leider starb er zu früh 2007 an ALS. Er war ab 1996 an der Kunstakademie Düsseldorf ein machtvoller, loyaler Malerkollege von mir.

K.O. Götz hatte ihm in seiner liberalen Art während seiner Studienzeit bei Joseph Beuys sogar einmal für die Semesterferien einen Malerei-Platz in einem seiner Klassenräume zur Verfügung gestellt. Dieses Entgegenkommen von Götz hat  Immendorff nie vergessen. Obwohl er doch mit seiner besonderen, politgeschwängerten Art von figurativer Malerei gegen die gegenstandslose informelle Malerei angemalt hat.

Zu Immendorffs 60. Geburtstag 2005 waren K.O. Götz und ich extra zu seiner Geburtstagsfeier im Privat-Atelier von Markus Lüpertz in Düsseldorf eingeladen. Da sahen wir beide traurig das letzte Mal Immendorff, wie er in einem Rollstuhl die Glückwünsche aller Anwesenden entgegennahm. Ich, Rissa, hätte jahrgangsmäßig seine sieben Jahr ältere Schwester sein können.

Rosemarie Trockel ist 1952 in Schwerte in Nordrhein-Westfalen geboren. Bei ihr wird übrigens die Tatsache bestätigt, dass visuelle Formfähigkeit und anschauliche Vorstellungskraft häufig vom Vater auf die Tochter und von der Mutter auf den Sohn vererbt wird. Und – „Voilà“: Ihr Vater ist Maschinenbauingenieur! Rosemarie und Rissa waren also von 1998 bis 2007 Künstlerinnen-Kolleginnen an der Kunstakademie Düsseldorf.

2007 verließ ich die Akademie altersmäßig, sie erst 2016. Sie ist im Gegensatz zu mir eine vielgerühmte Multi-Media-Künstlerin, die nicht nur interessante schwarz-weiße und farbige Arbeiten kreiert, sondern sie ist auch in das geistige Reich von Marcel Duchamp (1887–1968) eingedrungen, indem sie auch Plastiken, Skulpturen, Objekte, Videoarbeiten und Installationen macht.

Jetzt sollte ich über meine Intention als „nur“ klassische Malerin und Zeichnerin ein paar Worte sagen, denn ich strebe mit meiner Malerei visuell-ästhetisch eine eigene künstlerische Konzeption an, die man altmodisch „eigenen Stil“ nennen kann. Ich will mit meiner Malerei bewußt eine unverwechselbare künstlerische Bildwelt schaffen, die Bilder zeigt, die ästhetisch und semantisch einmalig sind. Ob mir das gelungen ist, wird die Zeit zeigen. Heute zeichnet sich jedoch immer deutlicher ab, dass eine eigene Stilfindung für Künstlermaler und -malerinnen immer schwieriger wird, weil wir in einem Zeitalter leben, wo die menschliche Sehnsucht nach Bildern, die bis zur Erfindung der Fotografie das klassische Tafelbild gestillt hat, heute vermehrt durch Film, Fernsehen und Internet befriedigt wird. Hinzu kommt, dass in der Bilderflut der Malerei eine Vermischung klassischer und moderner Formelemente in vollem Gange ist, so dass in der Malerei dem Eklektzismus und der visuellen Redundanz Tür und Tor geöffnet wird. Zudem, hart ausgedrückt, werden m. E. heute Kunstwerke  als zweidimensionale ebene Bildvorlagen mit visuell-ästhetisch erneuerten Bildelementen gesellschaftlich fast nicht mehr erwartet und oft auch nicht mehr erkannt, da über die visuell-ästhetische Dimension von Malerei immer weniger gesprochen wird.

Zurück zur Akademiezeit, als Markus Lüpertz (geb. 1941) als neuer Rektor ab 1988 begann, die Akademie in Düsseldorf glanzvoll zu leiten: Damals traten Rosemarie Trockel und ich als Kolleginnen so gut wie nie miteinander in Beziehung, denn ich gehörte ja mit Geburtsjahr 1938 zu einer älteren Generation und war die meiste Zeit meines Lebens abwesend im allgemeinen Kunstgeschehen. Rosemarie weiß wahrscheinlich nicht, dass ich zur Zeit ihrer Berufung, seit 1988 Gleichstellungsbeauftragte der Akademie war und dass auch ich dazu beigetragen habe, dass sie 1998 berufen wurde. Es freute mich natürlich, dass endlich eine hochkarätige Künstlerin eine Professur bekommen hatte, denn es war eine meiner Aufgaben, für Frauennachwuchs an der Akademie zu sorgen. Später kam noch unter meiner Mitwirkung die US-Amerikanerin Rita McBride ( geb. 1960) hinzu. Zu berichten ist noch, dass Rosemarie Trockel und ich in der Akademie nie eine persönliche Begegnung von Angesicht zu Angesicht hatten. Diese vollzog sich ein einziges Mal, als ich 2003 die Eröffnung meiner Bilder-Ausstellung hier in der Küppersmühle hatte, da war sie bei der Eröffnung kurz anwesend und rief mir überraschenderweise zu, dass es gute Bilder seien. Ich war ganz verblüfft. Jahrgangsmäßig bin ich 14 Jahre älter als sie, so hätte ich sowohl ihre Schwester als auch – gewagt gesprochen – sogar ihre Mutter sein können.

Thomas Florschuetz, 1957 in Zwickau in Sachsen geboren, lebte ab 1988 in Westberlin. Er ist ein experimenteller Fotograf. Einige seiner Arbeiten habe ich erst jetzt, da wir hier ausstellen, durch Wikipedia kennengelernt. Was mich mit ihm verbindet ist, dass er bis 1988 einen Bezug zur DDR gehabt hat, den ich bis 1953 hatte. Und dass er, wie ich in meiner Malerei, sich fotografisch mit ungewöhnlichen  Formproblemen beschäftigt. Ich könnte mit 19 Jahren Alterunterschied glatt seine Mutter sein.

Stephan Balkenhol wurde 1957 in Fritzlar in Hessen geboren. Er ist heute ein mächtiger Fels in der Bildhauerei. Ich kannte ihn vor dieser Ausstellung nicht persönlich, aber seine Holz-Skulpturen reizen mich als Betrachterin sehr, sie lange anzuschauen. Was die Intention meiner Arbeiten mit der seiner Skulpturen verbindet, sind die Begriffe „Geheimnis“ und „Rätselhaftigkeit“. Diese zwei, manchmal emotionale Begierde auslösenden Wörter habe ich oft auch von Betrachtern vor meinen Bildern gehört. Wir sind altersmäßig 19 Jahre auseinander, so könnte ich seine Mutter sein.

Jetzt ist meine Rede doch recht lang geworden.

Zu sagen ist trotzdem noch, dass wir Ausstellenden allen Personen danken, die unermüdlich für diese Ausstellung ideell und praktisch gearbeitet haben.

Das war’s, meine Damen und Herren!


Eindrücke der Eröffnung

Eintritt: 6,00 € p.P. | 3,00€ p.P. ermäßigt